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Das Interview mit creamcheese führte Harald Gramberg am 21.11.2020


Harald G.: In unserer Interview-Ecke war es vorübergehend relativ still, aber das wird sich nun ändern. Heute habe ich Marcel Besner hier zu Gast, und er möchte Euch gerne etwas über sich und sein musikalisches Projekt „creamcheese“ berichten. Marcel, ich darf Dich erst einmal herzlich willkommen heißen und freue mich, Dich heute hier begrüßen zu dürfen. Vielleicht möchtest Du erst einmal ein paar einleitende Worte an unsere interessierten Leser richten, woher Du stammst, wie alt Du bist, was Du sonst noch so außer Musik machst oder was Du uns noch so mitteilen möchtest…

Marcel Besner: Hallo Harald!
Herzlichen Dank für die Einladung. Very cool!
Ist für mich noch ein bisschen ungewohnt, zu meiner Musik interviewt zu werden. Das ist bisher noch nicht sooo oft vorgekommen. Einmal, um ehrlich zu sein.

Wer ich bin und was ich sonst so mache?
Ich bin 1976 geboren und damit jünger als die meisten meiner Lieblingsplatten. Aufgewachsen bin ich Marl im Ruhrgebiet.
Mittlerweile lebe ich seit fast 20 Jahren in Soest und verdiene meine Brötchen als Netzbetriebsleiter für Gas und Wasser beim örtlichen Versorger. Ich habe eine Tochter (8) und einen Sohn (11).
In meiner Freizeit mache ich nicht nur Musik, ich höre auch leidenschaftlich gern und sammle Schallplatten und fahre Mountainbike.

Harald G.: Bei dem Begriff creamcheese fallen mir ad hoc zwei Wortparallelen ein. Zum Einen der bekannte Song Suzy Creamcheese von Frank Zappa und zum Anderen ein gleichnamiges Lokal in der Düsseldorfer Altstadt, das in Insiderkreisen in den 70er Jahren recht populär war und wo auch jeden Abend pünktlich um 22 Uhr der besagte Song von Frank Zappa gespielt wurde. Was hat Dich denn dazu inspiriert, Dein Musikprojekt so zu benennen?

Marcel Besner: Treffer und versenkt! In dem Düsseldorfer Lokal war ich zwar nie, aber der Name „creamcheese“ ist natürlich eine Verneigung vor Zappa.
Nicht nur als Musiker, sondern auch als Person! Die Ansichten, der Humor, das „Frank und Freie“, das macht mich schon ziemlich an...

Harald G.: Wie würdest Du vom Genre her ganz grob Dein musikalisches Schaffen einkategorisieren, ohne irgendwelche Schubladen auftun zu wollen, denn was haben wir Musiker uns ja zwischenzeitlich weitgehend abgewöhnt. Gibt es irgendwelche Vorbilder, um nicht zu sagen Idole, Inspirationen von erwähnenswerten namhaften Wegbereitern oder wie man es auch immer ausdrücken möchte? 

Marcel Besner: Puh, das finde ich schwer! Und dann auch noch ohne Schubladen, wo das menschliche Gehirn Schubladen ja so gut findet...
Ein Einfluss ist ja schon erwähnt worden. Und wenn man meine Musik hört, findet man wohl schnell heraus, dass da jemand zugange ist, der viel Pink Floyd gehört hat. Die sind tatsächlich die größte musikalische Liebe meines Lebens.
King Crimson, Beatles, die ersten Alben von Black Sabbath… Das sind so die Sachen, die mich schon mein ganzes Leben begleiten, und die -glaub ich- in meiner Musik immer irgendwie mitschwingen.
Da gibt’s aber auch andere Einflüsse, z.B. elektronische wie Kraftwerk oder Chemical Brothers (deren zweites Album mich 1998 den Wunsch in mir aufsteigen ließ, Musik am PC zu machen), Kraut-Sachen wie Kraan oder Can oder moderne Sachen wie e.s.t., GoGoPenguin, Ane Brun oder so.
Einflüsse sind jede Menge da, aber wie versieht man das jetzt mit einem Genre-Etikett?
21st Century Psychedelic Rock? Kann das passen?

Harald G.: Auf Deiner Bandcamp-Seite findet man sechs Alben, die im Zeitraum von 2010 bis 2020 entstanden sind, und das sind alles Solo-Alben, wenn ich das richtig vernommen habe. Da wir auch viele fachkundige Leser haben, tut sich natürlich die Frage auf, wie Du das alles ganz alleine bewerkstelligst. Gib doch unseren Lesern mal einen Einblick in Dein Equipment, beschreibe doch einfach mal, welche akustischen Instrumente und welche Werkzeuge Du für das Produzieren, Arrangieren, Mixen und Mastern Deiner Aufnahmen verwendest…

Marcel Besner: „Der Künstler wird gebeten, die Hosen herunterzulassen!“.
Ja, es sind alles Solo-Alben, bis auf ein paar Samples hab ich das alles selbst gespielt oder programmiert.
Normalerweise läuft das so bei mir:
Wenn ich eine Idee habe, nehme ich die erst mal als „Schmutzspur“ auf, mache einen Loop daraus, und dann jamme ich mit mir selbst, spiele einen Bass drüber oder irgendein Keyboard. Ich lass das immer auf mich zukommen.
Ich kann nie vorher sagen, dass Idee XY am Ende so und so klingen wird…
Alles offen. Immer Jetzt!
Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem geschnitten und hin- und her geschoben wird, und dann bekommt es allmählich Struktur. Und dann geht’s ins Detail.
Dann werden die Schmutzspuren neu aufgenommen und Soli usw…
Was die Mittel betrifft: Hier hängen eine Strat, eine SG, ein Jazzbass und eine Western an der Wand. Alles sehr übersichtlich...
Ich hab auch einen Röhrenkcombo und ein altes Röhrenradio hier rumstehen, aber benutze ich nur wenig. Das meiste geschieht „In-the-Box“. Ich spiele mit E-Gitarren und Bass über die Bodeneffekte direkt in den Rechner und lege einen virtuellen Amp drauf.
Die Keyboards spiele ich über ein Midi-Keyboard in den Rechner. Die Klangerzeugung geschieht im PC.

Ich arbeite mit REAPER als DAW.

Harald G.: Aus unserem Vorgespräch habe ich vernommen, dass Du vorher schon musikalisch aktiv warst, z.B. in einer Band, von der Du mir erzähltest, aber von der Du Dich dann gelöst hast. Möchtest Du auch zu diesem Thema unseren Lesern etwas mitteilen?

Marcel Besner: Naja, da muss man ehrlicherweise eingestehen, dass ich mich nicht von der Band gelöst habe, sondern die Band von mir, bzw. der erklärte Kopf der Band. In dieser Band war ich „Mischer“ -so hieß das damals-, als solcher aber vollständig in den kreativen Prozess integriert. Ich habe da eine Menge gelernt, aber irgendwann kam der Punkt, da man nicht mehr so gut zusammen funktioniert hat. Da wurde mir zu viel über zu wenig debattiert. Letztlich hat das mit zu dem Entschluss geführt, alles am Rechner alleine zu machen und nicht mehr über Akkorde oder Breaks zu diskutieren.

Mein „Urschrei“ aber war, wie bei vielen, eine Punkband. Da war ich 16 oder so.
Wir waren schlecht, haben das akzeptiert, und das hat uns irgendwie gut gemacht. Schwachsinnige Texte, mieser Sound, kein Alkohol im Proberaum (Mutter könnte ja runter in den Keller kommen…) und zwischendurch: Rülpsen. Ich hör mir das heute noch gerne an. Weil die Energie gut war!
Bei Musik geht es ja immer um Energie!
Du kannst die größten Virtuosen zusammenschmeißen, aber wenn die sich nicht verstehen, wird es Scheiße. Aber drei Stümper, die ihre Sache abfeiern, können die Bude richtig in Brand stecken...

Harald G.: Live-Auftritte sind ja leider aufgrund der Pandemie ein Tabu-Thema, aber könntest Du Dir vorstellen, in welcher Form auch immer, irgendwann mal auf einer Bühne zu stehen, um Dein musikalisches Können zum Besten zu geben oder konzentrierst Du Dich lieber ausschließlich auf Deine Studioarbeit?

photo5255819139191255464.jpgMarcel Besner: „Tabu“ würde ich gar nicht sagen, glücklicherweise kommt ja die coronabedingte Misere der Veranstaltungsbranche jetzt mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein.
Als Konzertgänger nervt mich Corinna natürlich...
Ich hab hier noch Konzertkarten liegen, die habe ich meinen Läusen (Kindern) schon letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Hoffentlich können wir die bald mal einlösen. Fänd ich ganz geil, bald ist ja schon wieder Weihnachten...
Aber was will man machen? Wir fahren auf Sicht, und ich glaube, wir machen das hierzulande ziemlich gut. Klar läuft es an einigen Stellen etwas hakelig, was ich am eigenen Leib erlebt habe, denn ich war während des 1. Lockdown im März mit meinen Kindern in Quarantäne, weil ich „positiv“ war. Ich hatte Glück, drei Tage Fieber und Gliederschmerzen. Der Rest bestand hauptsächlich aus Langeweile und Bewegungsmangel. Aber das ist ein anderes Thema...
Für mich als Musiker kommen Live-Auftritte eigentlich nicht in Frage.
Klar, das wäre schon auch irgendwie geil. Irgendwie… Aber es wäre wohl schon eine ziemliche Tour de Force, diese Arrangements auf der Bühne zu reproduzieren.
Was ich da mache, das ist schon eher Studio-Musik, und das darf es auch bleiben.

Außerdem hätte ich auch einfach Schiss...

Harald G.: Dein jüngstes Album ist erst kürzlich erschienen, und zwar nicht nur auf Deiner Bandcamp-Seite, sondern auch auf physischem Tonträger über das Bochumer Qualitätslabel Clostridiumrecords (liebe Grüße an dieser Stelle auch an Andreas Krüger von Clostridiumrecords, der das möglich gemacht hat). Wie ist es denn zu diesem vielversprechenden Bündnis gekommen? 

Marcel Besner: Eines Tages hab ich in meinen Facebook-Account geguckt und hatte eine Nachricht und Freundschaftsanfrage von einem, wie ich später erfuhr, Underground-ÄxpÄrten: Dieter Löckener.

Der hatte meine Mucke auf einem seiner Streifzüge durch Bandcamp entdeckt und fand das Zeug ziemlich gut.
Wir haben dann ein bisschen telefoniert, und er hat den Kontakt zu Andreas von Clostridium hergestellt. Andy fand die Sachen auch cool, und dann haben wir angefangen ein Album zusammenzustellen. Auf dem Weg dahin kam dann noch das Wenske-Cover, worüber ich sehr glücklich und dankbar bin, denn hey! So’n Original-Wenske hat nicht jeder auf’m Cover…

Harald G.: Wir, die Underground-ÄxpÄrten, haben Deine Musik schon wiederholt in unseren Radiosendungen vorgestellt, und ich kann Dir jetzt schon zusichern, dass sich auch schon bald andere Internet-Radiosender für Deine Musik interessieren werden. Wie denkst Du generell über das Medium Internetradio, um mehr Menschen auf Dein musikalisches Schaffen aufmerksam zu machen?

Marcel Besner: Naja, um ehrlich zu sein ist das Phänomen „Internetradio“ bisher ziemlich an mir vorbei gegangen. Erst durch die Underground-ÄxpÄrten habe ich da einen Einblick bekommen, und ich glaube, da steckt eine Menge Potenzial drin.
Seit ich mit Dieter im Kontakt bin, höre ich gerne bei euch rein, habe tolle Sachen entdeckt, auf die ich sonst wohl nie gestoßen wäre, und natürlich habe ich fassungslos davor gesessen, als mein Song „Wettkacken“ lief.
Es war schon sehr besonders zu erleben, dass da draußen Menschen sind, die diese Musik wirklich gut finden, denn eigentlich mache ich meine Musik ja immer „nur“, damit ich nicht stattdessen vor der Glotze sitze oder so, quasi als Beschäftigungstherapie.
Und auch das ist wichtig: Ich habe nie Ambitionen gehabt, „groß rauszukommen“, wie es so schön heißt. Ich wollte immer vor mich hin tüfteln, um des Tüftelns Willen.
Es ist vor allem der Prozess der Entstehung, der mich fasziniert.

Harald G.: Sag uns doch bitte etwas mehr zu deinem aktuellen Album...

photo5314414437412745401.jpgMarcel Besner: Das Album heißt „Abflug“. Der Titel ist durch Zufall in einem Gespräch mit Dieter entstanden. Anfang August war das. Die CD war fast fertig, als ich beim Biken im Wald gestürzt bin und mir den Plexus-Nerv gequetscht habe. An sich nichts Schlimmes, aber es brennen einem ein paar Tage Arme und Hände, als hätte jemand kochendes Wasser darüber gekippt. Ich also Dieter angerufen und gesagt: „Hey, tut mir leid, aber ich kann die CD kommende Woche nicht fertigstellen, ich hab `nen Abflug mit dem Rad gemacht…“. Und da war der Album-Titel da!
Vier der fünf Tracks gab es schon. Chimera ist neu. Es besteht aus zwei Songs, die ich immer super fand, aber nie ganz fertiggestellt habe. Die habe ich jahrelang mitgeschleppt. Letztlich ist einer daraus geworden, eine Chimäre.

Und obwohl die Songs über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren entstanden sind, funktionieren sie unheimlich gut zusammen und klingen wie aus einem Guss.
Ich finde es klingt sehr dicht, aber nicht zusammengewürfelt.

Ein Fehler hat sich aber eingeschlichen, noch dazu ein extrem blöder: Am Cover ist so lange rumgerödelt worden, dass wir am Ende einfach vergessen haben, die Underground ÄxpÄrten auf dem Cover zu erwähnen.
Das ist in sofern schade, als dass „Abflug“ ohne euch gar nicht erst passiert wäre!
Deshalb an dieser Stelle ein „mea maxima culpa!“, und ein ebenso lautes: Danke!

Harald G.: Wie sehen Deine weiteren Zukunftspläne aus? Denn ich hoffe natürlich, dass wir auch weiterhin sehr viel von Dir zu hören bekommen…

Marcel Besner: Unter Ingenieuren gibt es so einen Spruch: „Planung heißt, den Zufall durch den Irrtum zu ersetzen.“, und obwohl das sehr platt klingt steckt da viel Wahrheit drin.
Ich versuche keine Pläne zu machen. Damit setzt man sich nur selbst unter Druck…
Ich mach weiter Musik, klar! Aber was dabei wann herauskommt, kann ich nicht sagen.

Eines Tages möchte ich an mein Plattenregal gehen, mein eigenes Album rausziehen, auflegen, hören, der Nadel dabei zugucken, wie sie vom Rand in Richtung Label wandert und denken: „Danke!“.
Ich hab schon als kleiner Junge in meinem Zimmer gehockt, eine Platte aufgelegt, sie ohne Ton laufen lassen, Gitarre gespielt und mir vorgestellt, dass das, was ich gerade zocke, auf der Platte ist...

Harald G.: Im Namen des Hippieslands und der Underground-ÄxpÄrten und natürlich auch im Namen unserer Leserschaft bedanke ich mich für dieses aufschlussreiche Interview, und wir alle wünschen Dir auch weiterhin sehr viel Erfolg. Wie an dieser Stelle üblich mögen die letzten Worte Dir gehören. Gibt es noch etwas, was Du unseren Lesern und Hörern mit auf den Weg geben möchtest?

Marcel Besner: Und ich bedanke mich bei dir und euch für das Gespräch und die guten Wünsche!

Sollte ich irgendwem irgendwas mit auf den Weg geben?
Wer bin ich denn?
Aber wenn, dann wohl ein Zitat von Zappa:
„A mind is like a parachute. It doesn't work if it is not open.“

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