Das Interview mit Bernhard Wöstheinrich führte Harald Gramberg am 08.12.2022
Harald Gramberg: Heute haben wir in unserer Interview-Ecke einen in einschlägigen Kreisen nicht ganz unbekannten Künstler zu Gast. Mit „einschlägigen Kreisen“ meine ich in erster Linie die Liebhaber der elektronischen Musik der alten Schule. „Alte Schule“ ist ein von mir gerne verwendeter Begriff, um das breite Spektrum der elektronischen Musik ein wenig einzugrenzen, denn gerade die junge Generation denkt bei elektronischer Musik häufig an etwas ganz anderes, worauf ich hier, glaube ich, nicht näher einzugehen brauche.
Aber unser Interview-Gast ist nicht nur Musiker, sondern auch auf anderen Gebieten bewandert, aber darüber wird er Euch gleich sicher selber berichten. Zunächst möchte ich Dich bitten, Dich unseren Lesern kurz vorzustellen, wie Du heißt, woher Du stammst, was Dein beruflicher Werdegang ist usw.
Bernhard Wöstheinrich: Ich komme aus Herzebrock-Clarholz bei Gütersloh und bin sehr ländlich in einer großen Familie aufgewachsen. Ich habe eine Tischler-Lehre gemacht und habe dann über den sogenannten zweiten Bildungsweg ein Fachabitur und ein Studium der „Visuellen Kommunikation“ absolviert.
Nach einigen Jahren, in denen ich in verschiedenen Agenturen arbeitete, habe ich im Jahr 2000 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Das dauert auch mit kurzen Unterbrechungen bis heute an. Allerdings hat sich meine Tätigkeit von einer klassischen Agentur hin zu Musik- und Medienproduktion gewandelt. Das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass ich bereits von 1996 an mit Markus Reuter zusammengearbeitet habe, mit dem ich ja u. A. als centrozoon Musik mache. Und da Markus auch von Anfang das Musikmachen immer sehr professionell gesehen hat, war diese Herangehensweise auch direkt Teil von unserer gemeinsamen Arbeit. Nach vielen Jahren im Kreis Gütersloh sind wir dann 2014 nach Berlin gezogen. Gleichzeitig haben wir uns noch stärker auf die Musik, den Vertrieb und die Promotion fokussiert, weg von der reinen Agentur-Tätigkeit. Das liegt natürlich auch daran, dass sich die Nachfrage nach reinem Grafik Design so drastisch verändert hat, bzw. von der Menge nicht mehr mit dem Anfang der 2000er zu vergleichen ist. Aber natürlich wollten wir uns mehr auf das konzentrieren, was unser eigentlicher Antrieb ist: Die Musik.
Ich stehe aber natürlich immer noch für Anfragen in allen Bereichen der Medienproduktion zur Verfügung.
Harald Gramberg: Wie ich in meinen Eingangsworten bereits andeutete, ist Bernhard nicht nur Musiker und Komponist. Aber vielleicht möchtest Du unseren Lesern etwas darüber erzählen, bevor wir zu dem eigentlichen Kernpunkt des Interviews, nämlich der Musik, kommen.
Bernhard Wöstheinrich: Ich bin, wie ich Eingangs schon erwähnt habe, ein Grafik-Designer, davor habe ich eine Tischler-Lehre gemacht. Durch meine Herkunft ist mir die Tätigkeit als Musiker, bzw. im Bereich der Musik nicht unbedingt nahegelegt worden. So habe ich zum Beispiel auch nie explizit eine musikalische Ausbildung in irgendeiner Art gehabt.
Aber natürlich war ich immer fasziniert von Musik im Allgemeinen und habe mich auch gerne mit allen Bereichen, die vielleicht nur mittelbar damit zusammenhängen, interessiert. So kommt mir zum Beispiel meine Eigenschaft als Grafiker sehr zu Gute, wenn ich für mich oder andere Musiker Artworks entwerfe. Ich kenne die Anforderungen des Presswerks ebenso wie die Denkweise eines Musikers.
An dieser Stelle ist es auch erwähnenswert, dass ich mich ebenso in der Malerei und der Illustration betätige. Im Grunde genommen kam die Entscheidung zur Malerei mehr oder weniger in einem Zug mit der zum Musik-Machen. Musik ist aber dann im Laufe der Zeit mehr in den Vordergrund gerückt. Dennoch male ich weiterhin, und man kann meine Werke auch unter Anderem auf meiner Website und meinem Facebook Profil betrachten (siehe Website-Adressen unten).
Harald Gramberg: Aber nun zu unserem Hauptthema in unserer Eigenschaft als Musik-Magazin: Welches waren Deine ersten Erfahrungen, die Du als Musiker sammeln konntest?
Bernhard Wöstheinrich: Zunächst einmal habe ich mich eigentlich nie wirklich getraut mich selbst Musiker zu nennen. Das hätte ich ebenso wenig getan wie mich selbst einen „Magier“ oder so zu nennen. Ich habe zu Beginn Musiker als Menschen mit einer Art Geheimwissen betrachtet. Aber dieser übermächtige Respekt hat mich nicht davon abgehalten trotzdem mit Klang und Musik zu experimentieren. Das fing so um 1988 an. Ich war anfangs auch mehr von Bands wie den Einstürzenden Neubauten oder Cabaret Voltaire inspiriert als von Tangerine Dream und Klaus Schulze, obwohl ich letztere durchaus kannte und auch sehr verehrt habe. Bei meinen ersten Experimenten kamen mir natürlich gewisse Errungenschaften der Elektronik zugute. So konnte ich schon auf mehrere Generationen von bereits ausgedienten Gerätschaften wie Tonbandgeräte, Spielzeugkeyboards und Amateur DJ-Equipment wie kleine Mischpulte zurückgreifen, die man mehr oder weniger einfach irgendwo auffinden konnte. Zu der Zeit, also am dem Ende der 1980er Jahre, bestand auch noch die Chance ohne Weiteres irgendwelche Klangerzeuger zu bekommen, die dann bereits nur wenige Jahre später als wertvolle analoge Klassiker gehandelt wurden.
Meine Haltung zu Elektronik in der Musik ist im Allgemeinen sehr pragmatisch. Dass ich so unkonventionell angefangen habe lag einfach an den situativen Gegebenheiten. Ich habe ja nicht ahnen können, dass es irgendwann einmal eine Lo-Fi Electronica Szene geben wird, die sich auf die Verwendung von ebensolchen unzulänglichen, veralteten und defekten Klangerzeugern, Aufnahmegeräten und so weiter spezialisiert.
Klänge erzeugen, Klänge miteinander in Verbindung setzen, Geschichten erzählen, Harmonien finden und wieder verwerfen, darum geht es mir. Sicher hätte ich also mit einer klassischen Ausbildung und einem konventionellen Instrument direkter an diese Sache herangehen können. Aber das war nun einmal nicht mein Weg.
Erst später habe ich verstanden, dass eben auch die Gründerväter- und Mütter der Berliner Schule ebenso experimentell, unbefangen, roh und spontan angefangen sind und dass sich der so signifikante Sound erst in der Folge eingestellt hat.
Und die ersten Erfahrungen, die ich mir dann wirklich selbst als Musiker zuschreibe waren dann die Konzerte, die ich für mich in meinem Umfeld zu organisieren in der Lage war. Das war dann primär im studentischen Bielefeld und Umgebung oder interdisziplinäre Kunst- und Musik-Festivals.
Harald Gramberg: Du bist also nicht nur als „Alleinstreiter“ im Sinne von Solo-Interpret unterwegs, sondern kooperierst auch mit anderen Künstlern. Welches waren in diesem Zusammenhang Deine bisherigen Höhepunkte in Laufe Deiner musikalischen Karriere?
Bernhard Wöstheinrich: Das kann ich wirklich nur schwer beantworten. So finde ich es eigentlich nach all den Jahren bemerkenswert, dass ich gemeinsam mit Markus Reuter Musik mache. Das bewegt mich mindestens so sehr, wie die Tatsache, dass Pete Townshend mich in zwei unterschiedlichen Interviews im Rolling Stone Magazin als einen innovativen Musiker bezeichnet hat.
Aber die Liste an beeindruckenden Künstlern und Musikern, die ich treffen durfte und mit denen ich dann zum Teil auch zusammen gearbeitet habe ist damit ja noch nicht zu Ende: Tim Motzer, David Kollar, Conrad Schnitzler, Erik Wøllo, Stephen Parsick, Harald Großkopf, Ian Boddy,Tim Motzer, Dirk Schlömer, um nur ein paar zu nennen. Und jede Kollaboration ist naturgemäß immer sehr unterschiedlich und hat ganz individuelle Eigenarten, die alle für sich gesehen sehr wertvoll sind. Ich kann mit vollem Ernst sagen, dass ich praktisch von jedem meiner Kollaborationspartner unglaublich viel gelernt habe.
Harald Gramberg: Ich kenne unzählige Elektronikmusiker, und zu denen zähle ich mich auch selbst, die… na ja... in erster Linie „Tonspurenbastler“ sind, ohne das abwertend zu meinen. Um es mal eleganter auszudrücken, die schwerpunktmäßig im eigenen Tonstudio werken, um manchmal in monatelanger Kleinarbeit neue Klangprojekte, bestehend aus vielen Einzelkomponenten, zu kreieren. Aber Du, lieber Bernhard hast, wie viele andere auch, Live-Erfahrungen auf der Bühne. Erzähle uns doch mal etwas über Deine bisherigen Bühnen-Highlights...
Bernhard Wöstheinrich: Live spielen ist für mich tatsächlich ein sehr wichtiger Aspekt beim Musik-Machen. Die letzten „Bühnen-Highlights“ sind naturgemäß jetzt erst einmal eine Weile her, abgesehen von dem „First International Moonjune Music Festival“ in Jajce, zu dem ich im Sommer 2022 eingeladen war.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang eine spezielle Performance nennen, die vielleicht für die Leser hier im Besonderen interessant sein könnte: Ich habe im Jahr 2019 gemeinsam mit Mike Hunter auf den Gatherings Concert Series in Philadelphia gespielt. Die einfache Idee dabei war: Wir spielen ein ganz traditionelles Set mit einem großem, analogen, authentischem Vintage Synthesizer Besteck, ganz so wie man sich die „Berliner Schule“ idealerweise vorstellt!
Nach ein paar Tagen Proben im Keller von einem Freund in New Jersey haben wir dann all die altehrwürdigen Geräte in zwei Autos verladen, um alles vor dem Altarraum einer historischen Kirche in der Innenstadt von Philadelphia wieder aufzubauen. Der imposante Bühnenaufbau mit dem Moog Modular und den diversen Keyboards hat sich dann sehr schön in die Neo-Gotik der Kirche eingefügt. Auch der Raum-Klang war natürlich hervorragend. Allerdings hat sich der Aufbau von den sonst üblichen 30 Minuten auf über drei Stunden verlängert. Und auch die Pause zwischen den beiden Sets war unerwartet lang, da man den Sequencer des Moog vollkommen neu stimmen muss wenn man eine andere Ton-Skala spielen will. Mike Hunter und ich sind dann quasi gemeinsam mit dem Publikum auf eine Zeitreise gegangen, mit alle Aspekten, auf die man einstellen muss wenn man in der Art eine Live-Show aufführt.
Man kann das ganze Konzert hier nachhören:
https://bernhardwoestheinrich.bandcamp.com/album/live-at-the-gatherings-2019
Harald Gramberg: Besonders unseren fachkundigen Lesern interessiert es immer, welchem Equipment sich die Musiker bedienen. Gib uns doch mal einen kleinen Einblick in Dein Studio…
Bernhard Wöstheinrich: Mein Studio ist in den Augen eines allgemeinen Fans der elektronischen Musik wahrscheinlich ernüchternd spartanischausgestattet. Ich bin nicht mehr im Besitz von einem umfangreichen Gerätepark. In der täglichen Arbeit habe ich mich jedoch absolut auf das Wesentliche beschränkt. Vor meinem Umzug nach Berlin habe noch diverse Instrumente besessen, obwohl ich die eigentlich kaum noch benutzt habe. Mit dem Umzug nach Berlin hat sich das geändert, und ich empfinde es sogar erleichternd und wie eine Art Klärung, diese ganzen Sachen nicht mehr in meiner unmittelbaren Nähe zu haben.
Dennoch setzte ich immer wieder bewusst Instrumente mit einer bestimmten Signatur und Geschichte ein. Ich habe zum Beispiel die Aufnahme Session mit der Band Anchor and Burden mit einem Korg Mono-Poly, einem Yamaha DX7 und einem Roland Bandecho eingespielt. Ein Jahr zuvor habe ich für die erste Session mit der gleichen Band unter anderem ein Roland Juno 106 und ein Fender Rhodes inklusive einem Leslie Kabinett gespielt. Auf den Solo-Konzerten der 2018er Tour in den USA hatte ich einen Minimoog Model D als Hauptinstrument, ein Jahr später hatte ich den ARP Odyssey. Die meisten dieser Geräte sind mir auch durchaus bekannt und die Bedienung geläufig, da ich vieles davon auch schon selbst besessen habe, oder mir das Prinzip durch die Verwendung ähnlicher Geräte leicht verständlich ist.
Es geht mir bei der Klanggestaltung aber immer eher um eine gewisse Essenz des Klangs, und nicht so sehr um die Verwendung bestimmter Synthesizer-Hardware. So hatte ich einmal den speziellen Fall, dass ich für ein Stück auf dem Release Heart (https://bernhardwoestheinrich.bandcamp.com/album/heart) auf der Suche nach einem sehr prägnanten Solo-Sound war, den man auf Pink Floyd’s „Wish you were here“ hören kann. Ich war mir sicher, dass man diesen Sound in irgendwelchen Synthesizer Preset-Soundbänken finden würde. Am Ende habe ich diesen Klang mit nur wenigen Handgriffen in einem virtuellen analogen Synthesizer ohne größere Schwierigkeiten nachgebaut. Ich hatte den „Bauplan“ für diesen Lead-Sound sowieso schon die ganze Zeit im Kopf.
Ich möchte eigentlich am liebsten intuitiv mit den Grundlagen der Klangsynthese herumspielen können. So habe ich vor Jahren einmal erlebt, wie ein vermutlich von mir unabsichtlich gesendeter SysEx Befehl aus Yamaha SY22 die Klangparameter eines Korg Poly 61 so vollkommen durcheinander gebracht haben, dass mit der Verbindung mit einem Boss-Phaser, den ich zuvor schon angeschlossen hatte, eine wunderschöne Stimme aus Korg Synthesizer erklang. Mir war bis zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht klar, dass man mit einen verhältnismäßig limitierten Gerät wie dem Korg Poly 61 überhaupt Klänge dieser Art erzeugen kann. Und nach der Aufnahme-Session ist dieser Klang auch wieder ebenso mysteriös entschwunden, ohne dass ich die Möglichkeit gehabt hätte, ihn irgendwie für eine weitere Verwendung abzuspeichern.
Die Aufnahme kann man hier hören:
https://centrozoon.bandcamp.com/track/deliverance-the-divine-beast
In der Praxis brauche ich einen einigermaßen leistungsfähigen Computer, auf dem ich Ableton Live installieren kann, ein gutes Audiointerface und die Möglichkeit einer brauchbaren Abhör-Situation. Und egal ob im Studio oder auf der Bühne lege ich Wert auf eine gewisse Ergonomie, die mir trotz der Komplexität der Technik eine gewisse Spontanität ermöglicht. Ich habe ein 5-Oktaven Keyboard von Novation, bei dem die Grundfunktionen von Ableton schon direkt auf der Oberfläche durch Taster und Schieberegler umgesetzt ist. Ich bin auch ein großer Fan des Ableton Push, was die Funktionalität der Software wirklich in beeindruckender Weise in ein praktisches und stabiles Gehäuse übersetzt hat, das man auch bedenkenlos mit zu einem hektischen Aufbau auf die Bühne mitnehmen kann.
Ableton Live ist das Werkzeug, in dem ich mich am besten auskenne, und in dem ich mich intuitiv bewegen kann. Auch können mir hier bisweilen sogenannte „Happy Accidents“ passieren, also Unbeabsichtigtes und Fehler, aber mit interessanten Ergebnissen. Dazu muss man allerdings das Bedienkonzept schon sehr verinnerlicht haben, ansonsten führen solchen Verirrungen eher zu Frustration.
Ich glaube, dass andere Software ebenso gut ist wie Ableton Live, ich möchte hier also keine Grundsatzdiskussion beginnen. Das Konzept von Ableton kommt mir aber sehr entgegen. Es macht mir persönlich aber einfach große Freude in der Lage zu sein ohne große Umschweife immer direkt in das Musizieren, Editieren oder in das sonst wie kreative Arbeiten zu kommen. Und das kann ich in meinem Studio!
Harald Gramberg: Ich persönlich halte nichts von irgendwelchen vorgefertigten „Schubladen“ im Sinne von Sub-Genres, denn davon gibt es ja mehr als reichlich. Aber wie würdest Du, nur mal ganz grob, Deine musikalische Orientierung umschreiben?
Bernhard Wöstheinrich: „Interessante, inspirierende Musik“, vielleicht? Das würde ich mir jedenfalls wünschen, dass man das über meine Musik sagt! In der Tat habe ich immer wieder das Problem, eine passende Genrebezeichnung zu finden, unter anderem wenn ich meine Musik bei Online-Portalen oder bei der GEMA anmelden möchte. Eine voreilige und unpassende Kategorisierung kann potentielle Hörer ja auch abschrecken. Man findet Musik ja primär inhaltlich gut, und nicht wegen einer Genrebezeichnung.
Und eine weitere Erfahrung, die gemacht habe ist, dass man selbst davon überzeugt sein kann, sich in einem bestimmten Genre zu bewegen, aber dass die Hörer*innen diese Meinung vielleicht gar nicht teilen.
Meine musikalische Orientierung ist vermutlich schwer zu benennen - obwohl ich vermute, dass es da irgendeine Art von Verbindung geben muss! Neben den Meistern der Berliner Schule, also im speziellen Klaus Schulze, ist aber von Messian, Hindemith, Oskar Sala über Keith Jarret, Mike Oldfield, Kate Bush, David Sylvian, Dead Can Dance, traditionelle indische Musik, M83, Sigur Rós, Brian Eno zu Meshuggah und noch mehr ist das alles dabei.
Was aber direkter Ausgangspunkt für meine eigene Musik angeht, war ich am Anfang sehr von eher „informeller“ Musik beeinflusst: Frühe Cabaret Voltaire, Einstürzenden Neubauten, die späten Releases von Talk Talk, respektive Mark Hollis. Auch Tangerine Dream Releases wie „Zeit“ oder „Atem“.
Ich nenne diese Musik „informell“ da, ähnlich wie in der bildenden Kunst, traditionelle Prinzipien einfach übergangen werden. Und das war für mich, als ich damals völlig unvoreingenommen als Autodidakt begonnen habe, natürlich ein wunderbarer Einstieg in die Musik. Gleichzeitig begab ich mich aber automatisch immer tiefer in Gefilde der Prozesse des Musik-Generieren - und im Grunde arbeite ich heute immer noch so.
Wichtig dabei ist natürlich auch immer eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Ergebnisse. So sollte man sich nicht von bestimmten Elementen in der Musik über das Gesamtbild täuschen lassen. Eine hypnotische Sequenz mit einem kraftvollen Bass alleine macht noch kein hypnotisches Musikstück, nur weil man es möglicherweise irgendwo anders in einer ähnlichen Art schon einmal gehört hat. Wenn man dadurch Timing, Arrangement und alle weiteren Aspekte vernachlässigt, kann sich der Effekt sogar in das komplette Gegenteil verdrehen.
Und aus all meinen gescheiterten und auch unerwartet erfolgreichen Forschungsreisen in die Musik hat sich dann mit der Zeit wohl so etwas wie mein eigener Stil entwickelt, in dem sich strikt konzeptionelles Vorgehen dem rein Prozesshaften gegenübersteht. In der Literatur gibt es den Begriff des „Stream of Consciousness“ („Bewusstseins-Strom“). Es bezeichnet eine mehr oder weniger ungeregelte Folge von Bewusstseinsinhalten, die niedergeschrieben eine sehr offene, assoziative und bisweilen auch diffuse Beschreibung eines Zustands, eines Handlungsablaufs oder von Personen ergibt. Und ich glaube, dass man genau in dieser Art meine eigentliche Verbindung zur sogenannten „Berliner Schule“ sehen kann, da ich dort genau diese Methode wiederzuerkennen glaube.
Harald Gramberg: Gibt es etwas, worauf Du besonderen Wert legst? Ich denke da z.B. an die Befürworter der Abstimmung auf die Kammertonfrequenz von 432 Hertz, um eine gewisse bewusstseinsbeeinflussende Wirkung bei dem Hörer zu erzielen. Was ist deine Meinung zu dieser eher wissenschaftlichen Betrachtungsweise?
Bernhard Wöstheinrich: Ich stehe Theorien wie der mit einer geänderten Kammertonfrequenz nicht grundlegend ablehnend gegenüber, bzw. verstehe ich auch, dass der Wert des Kammerton A ein relativ willkürlich festgelegter Wert ist. Stimmhöhen von 440 Hz bis 444 Hz sind generell nicht unüblich, die Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan verwendeten angeblich sogar 445 Hz. Mir fehlt aber an dieser Stelle schlicht die technische Kenntnis, solche geänderten Stimmungen in der Praxis umzusetzen, bzw. einfach einmal damit herum zu experimentieren, um einmal zu sehen, wie sich das auf die Qualität der Musik auswirkt. Interessant wäre es aber allerdings!
Und so halte ich mich an das Naheliegende, denn es ist für mich wohl wesentlich leichter eine bewusstseinsbeeinflussende Wirkung zu erzielen, in dem ich mich darauf konzentriere, entsprechend mitreißende und faszinierende Musik mit den Mitteln zu machen, mit denen ich mich auch auskenne. Technik ist eine Grundvoraussetzung, dieser Bereich sollte einfach soweit beherrscht werden, damit sich daraus eine eigene künstlerische Aussage entwickeln kann. Dieser künstlerische Moment geht aber dann über die Summe der technischen und fachlichen Grundlagen weit hinaus. Ein gutes Werk muss meiner Meinung nach noch nicht einmal vom Schaffenden selbst direkt wirklich rational durch und durch verstanden werden. Wofür der Schaffende aber ein Verständnis entwickeln sollte ist, welche Voraussetzungen zu schaffen sind, um einen Fluss zu bekommen, und wann ist der Moment gekommen ist, in dem etwas Außergewöhnliches passieren kann.
Also, um die Frage danach zu beantworten, worauf ich besonderen Wert lege: Das ist eine Geisteshaltung, die es mir ermöglicht, Musik zu erschaffen, bzw. der sich entfaltenden Musik den Weg in unsere Welt zu ebnen.
Harald Gramberg: Aber bevor wir zu sehr in Details versinken, komme ich lieber mal zu der „Kernfrage“, die bei den meisten unserer Leser von Bedeutung sein dürfte: Wo kann man Deine Musik hören und auch kaufen?
Bernhard Wöstheinrich: Auf jeden Fall sind da vor allem diese Bandcamp Seiten zu nennen:
https://bernhardwoestheinrich.bandcamp.com/
https://centrozoon.bandcamp.com/
https://anchorandburden.bandcamp.com/
Weiteres kann man auch noch hier finden:
https://din.org.uk/
Wer auf den üblichen Streaming Portalen nach meinem Namen sucht, wird aber auch fündig, wobei ich hier einschränkend sagen muss, dass zur Zeit noch nicht alle Werke für das Streaming erhältlich ist.
Harald Gramberg: Kannst Du uns weitere Quellangaben nennen, über die unsere Leser mehr über Dich in Erfahrung bringen können?
Bernhard Wöstheinrich: Ganz einfach, meine Homepage:
https://redundantrocker.com/
Oder Facebook: https://www.facebook.com/bernhard1
Und dann gäbe es ja auch Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_W%C3%B6stheinrich
bzw.
https://en.wikipedia.org/wiki/Centrozoon
Harald Gramberg: Wie sehen Deine Zukunftspläne aus? Gibt es Vorbereitungsansätze zu neuen Releases oder Live-Events, sei es als Solo-Interpret oder in Zusammenwerken mit anderen Musikerkollegen?
Bernhard Wöstheinrich: Nach einer langen Pause scheinen sich nun ja wieder Perspektiven zu ergeben, live zu spielen. Ich bin dabei, wieder eine kleine Konzert-Tournee in die USA zu planen. Natürlich arbeite ich parallel immer an diversen Releases. Das ist eine Praxis, die in den vergangenen Jahren ohne andere Möglichkeiten der Betätigung für einen Musiker noch einmal weiter voran getrieben habe, und die ich auch weiter aufrecht erhalten will, soweit mir das möglich ist. Die nächsten Veröffentlichungen, die anstehen, ist ein neues Solo-Werk sowie Aufnahmen mit dem amerikanischer Philosoph und Experimental- und Jazzmusiker David Rothenberg.
Harald Gramberg: Ich bedanke mich ganz herzlich für diese interessante und aufschlussreiche Gesprächsrunde. Wie an dieser Stelle üblich, mögen die letzten Worte Dir gehören. Gibt es noch etwas, was Du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtest?
Bernhard Wöstheinrich: Das Zwitschern des Vogels macht die Stille des Berges hörbar.
Vielen Dank für das Interview, Harald!